Mythos Hyperinflation 1923
100 Jahre ist es her, dass eine Hyperinflation die Weimarer Republik ins Chaos stürzte. Ikonisch sind die Bilder von Lohnzahlungen in Wäschekörben. Bis heute ranken sich viele Mythen um sie.
Der Einkauf wird teurer, das ist kaum nicht bemerkbar. Die Preise steigen aktuell stark an. Auch wenn die Inflationsrate für September 2023 wieder auf 4,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat gesunken ist, vom 2 %-Ziel der EZB ist das noch entfernt. Kaum stiegen die Preise, zitierten einige wie der Ökonom Hans Werner Sinn das Gespenst der Weimarer Hyperinflation mit monströsen Preissteigerungen. Einzig: Mit der Situation heute hat das wenig zu tun. Sinn verklärt auch die Wirkung der Hyperinflation, wenn er meint die Nazis wären so an die Macht gekommen.

Deflation befeuerte Hitlers Aufstieg
Tatsächlich herrschte ab Ende der 1920er Jahre Deflation in Deutschland und nicht Inflation. Die Weltwirtschaftskrise hatte Deutschland besonders schwer getroffen, Kredite fielen aus und die Wirtschaft stürzte ab. Der damalige Reichskanzler Brüning reagiert darauf mit einem Sparpaket, wie es dieses Land noch nie zuvor (und auch danach nicht) erlebt hatte. Die Staatsausgaben wurden gekürzt, Beamtengehälter radikal beschnitten und die Sozialhilfe (ursprünglich eine der großen Errungenschaften der Weimarer Republik) wurde zusammengestaucht. In Folge dessen brach die Nachfrage ein. Weder Privatwirtschaft noch der Staat gaben Geld aus. Und wenn alle sparen hat das dramatische Auswirkungen. Denn dann verdient auch niemand etwas! Die Produktionskapazitäten werden heruntergefahren, Löhne gekürzt und Stellen gestrichen. Es kam zu Beginn der 1930er zu einer Massenarbeitslosigkeit mit über sechs Millionen Erwerbslosen. Und diese neuen Arbeitssuchenden konnten sich dann in lange Schlangen stellen, um von Brüning stark gekürzte Sozialhilfe in Anspruch zu nehmen, wenn sie überhaupt etwas erhielten. Die so vom Weimarer System enttäuschten wandten sich demokratiefeindlich Kräften, vor allem Hitlers NSDAP, zu. Die Hyperinflation mag vielen noch in den Knochen gesteckt haben und zusammen mit der Deflation als Katalysator für die (berechtigte) Unzufriedenheit gedient haben, unmittelbar jedoch führte sie nicht zu Hitler, das war die von Brüning induzierte Deflation.
Monetarismus aus der Mottenkiste
Mindestens genauso ikonisch wie die Inflation selbst ist die vermeintliche Ursache dieser: Der Staat musste seine Reparationen entrichten und druckte sich daher einfach das Geld. Durch die Erhöhung der Geldmenge stieg die Inflation. So weit, so einfach; und so falsch!
Hinter dieser Erklärung steckt die Quantitätstheorie. Sie ist Bestandteil des Monetarismus, einer ökonomischen Denkschule, die entscheidend von Milton Friedman geprägt wurde. Laut ihr gibt es einen Geld- und einen Warenstapel. Wächst der Geldstapel schneller als der Warenstapel bedeutet das Inflation. Diese Theorie ist heute unplausibel und sie ist auch ungeeignet zur Beschreibung der Inflation damals. Aber von vorn.
Angebotsschock statt Gelddruckmaschine
Nach den vier Jahren des Krieges lag die deutsche Wirtschaft am Boden. Die Industrieproduktion war auf das Niveau von vor 20 Jahren gesunken. Und das was produziert wurde, waren hauptsächlich Kriegsgüter, denn im Krieg wurden auch viele zivile Betriebe verpflichtet ihre ursprüngliche Produktion einzustellen und stattdessen auf Kriegsproduktion umzurüsten. Nach dem Krieg waren viele Fabriken zerstört und die Revitalisierung der alten Produktion gestaltete sich äußerst schwierig, zumal über zwei Millionen Soldaten gefallen waren, die jetzt der heimischen Wirtschaft fehlten. Es gab also wenige Waren auf dem Markt, die hätten gekauft werden können. Das Angebot blieb niedrig und traf auf eine Nachfrage, die nicht befriedigt werden konnte, das das Ausweiten der Produktionskapazitäten nach dem Krieg nicht ohne weiteres möglich war. Die Preise zogen an, zwar nicht so extrem wie 1923, aber doch.
Dazu kam dann 1919 der Versailler Vertrag. In diesem wurde festgeschrieben, dass Deutschland ein Großteil seiner Kohl- und Erzvorkommen abtreten musste. Ein harter Schlag für die ohnehin angeschlagene Inlandsproduktion. Und wie sollte man jetzt die hohen Reparationen bezahlen? Diese waren in Gold oder goldgedeckten Währungen zu entrichten. Drucken war also nicht. An diese Goldwährungen kam man nur aus dem Ausland, indem man mehr exportierte als man importierte und für seine Exporte vom Ausland in Goldwährung bezahlt wurde. Aber wie sollte man Waren exportieren, wo man doch schon für den heimischen Markt zu wenig produzierte? Ein explosiver Cocktail. Das erkannte auch schon der berühmte britische Ökonom John Maynard Keynes, der in seinem Werk “Die ökonomischen Konsequenzen des Friedens” den Versailler Vertrag geißelte und auf die fatalen Konsequenten für Deutschland hinwies. Aber es kam noch schlimmer als selbst Keynes es vorausgesagt hatte.
Im Juni 1923 besetzten französische und belgische Truppen das Ruhrgebiet, welches für Deutschland von enormer wirtschaftlicher Bedeutung war. Grund dafür war, dass die Regierung in Berlin mit den Reparationszahlungen im Verzug war. Die Regierung rief den Ruhrkampf aus und forderte alle Arbeiter und Beamten zum passiven Widerstand (heißt Streik) gegen die Besatzung auf. Wieder kollabierte die Produktion, das Angebot verknappte sich. Wir sehen einen enormen Angebotsschock, der eine Inflation nach sich ziehen wird. Das darf schon zu diesem Zeitpunkt als nahezu sicher gegolten haben. Die Inflation war bereits auf hohem Niveau und würde durch die abermalige Verknappung der Angebots weiter anziehen. Mit heute ist das kaum zu vergleichen. Erst hier kommt das ins Spiel, was häufig als Ursache der Hyperinflation gilt. Und sicher verstärkte dieser Faktor die Wirkung der Inflation um ein Vielfaches. Allein als Auslöser kann dieser nicht gelten, entfaltete er doch erst nach Einsetzen der Inflation seine Wirkung. Die Rede ist vom Gelddrucken. Denn die Regierung in Berlin wollte die Streikenden unterstützen, indem sie den Lohn fortzahlte, der den Arbeitern und Beamten ansonsten verloren gegangen wäre. Die Nachfrage wurde folglich konstant gehalten. Nur konnte man mit dieser Nachfrage viel weniger kaufen, die Produktion war ja eingestellt (wenn nicht Franzosen selbst übernahmen). Die Katastrophe nahm ihren Lauf, die Reallöhne sanken auf 40 Prozent ihres ursprünglichen Niveaus, Geldscheine wurden überstempelt und ein Brot kostete eine Billion Mark. Es wird deutlich: Im Angebotsschock liegt die eigentliche Ursache der Hyperinflation. Ohne ein radikal verknapptes Angebot gibt es auch keine Hyperinflation. (Das war in Simbabwe im übrigen nicht anders.)
Das Verwechseln von Bestands- und Flussgrößen
Und überhaupt: Wie soll eine erhöhte Geldmenge zu Inflation führen? Die Geldmenge ist der kumulierte Betrag allen Geldes, welches sich im Umlauf befindet. Wenn also alle Menschen ihr Geld vom Konto abheben Sicht-und es zusammen mit ihrem Bargeld auf einen Haufen kippen ergibt sich die sogenannte Geldmenge M1 (oder M2 je nachdem). Wenn jetzt die Zentralbank noch kommt und nochmal einen Geldregen obendrauf gibt, erhöht sich die Geldmenge. Und was passiert? Nichts! Die Geldmenge ist eine Bestandsgröße und die macht erstmal nichts mit der Wirtschaft. Unternehmen richten ihre Preise nicht nach einer Geldmengenstatistik, die die EZB versteckt auf ihrer Webseite veröffentlicht, sondern danach wie viel sie für die Herstellung ihrer Waren zahlen müssen (dem Erzeugerpreis), ihrer gewollten Gewinnmarge und nach der Nachfrage, die ihre Waren erfahren. Wenn überhaupt kann die Geldmenge über eine gesteigerte Nachfrage wirken, nicht jedoch aus sich selbst heraus. Wenn jedem Menschen auf einmal 10 Millionen Euro aufs Konto überwiesen würden, ginge die Nachfrage mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit durch die Decke. Aber wenn jetzt nur eine Person (veranschaulicht durch Elon Musk) 80 Millionen mal 10 Millionen Euro erhält, steigt die Geldmenge gleichermaßen, ohne dass die Nachfrage ebenfalls steigt (Musk hat bereits Milliarden und wird zusätzliches Geld daher nicht verkonsumieren, sondern beispielsweise auf den Kapitalmärkten anlegen). Ergo wirkt sich die Geldmenge nicht inflationär aus. Das gilt auch im großen Maßstab. Im letzten Jahrzehnt ist die Geldmenge laut EZB-Statistik stark angestiegen, da die EZB eine Politik der “Quantitativen Lockerung” betrieb. Die Inflation lag lange Zeit unter der anvisierten 2 %-Marke. Damit es Inflation gab, mussten schon eine Jahrhundertpandemie und ein Krieg in Europa dazukommen.
Geschichte schafft Gegenwart
Eine falsche Analyse der Hyperinflation von 1923 ist brandgefährlich. Sie dient Schaumschlägern probates Mittel zur Angstmache, sie stiftet Panik, wo keine Panik angebracht wäre. Nur mit einem klaren Blick auf die Vergangenheit können wir Muster erkennen, die sich auch heute zeigen (oder eben nicht!) und so adäquate, gute Politik betreiben. Mit Emotionalisierungen und dem unpassenden Herbeizitieren alter Geister kommt man jedenfalls nicht weiter. Es wäre Zeit für mehr Sachlichkeit, es wäre Zeit der Analyse mehr Zeit zu widmen und diese nicht als unumstößlich gegeben hinzunehmen. Denn sonst zieht man die falschen Konsequenzen und fällt auf Demagogen herein.
Mega spannender Artikel, aus dieser Perspektive habe ich Ökonomie noch nie betrachtet. Heißt das, dass aufgrund der ungleichen Vermögensverteilung in Deutschland trotz steigender Inflation die Nachfrage konstant geblieben ist !? Ich denke jedenfalls auch, dass die große Sorge vor der Inflation (zumindest auf einem Niveau, wie es dem aktuellen in Deutschland entspricht ) unbegründet ist. Das Narrativ, dass die Inflation in diesem Ausmaß persée etwas negatives darstelle und potentiell hochgefährlich für Deutschland sei wurde nicht zuletzt von der Opposition stark verbreitet. Wirklich besorgniserregend sind dann viel mehr die Reaktionen aufgrund der Angst vor einer Hyperinflation.